Anders ist die Situation auf allen anderen Kontinenten: In den USA hat die Shalegas-Revolution vor über 10 Jahren durch die günstige Erschließung von „unkonventionellem“ Erdgas durch „Fracking“ den Umstieg von Kohle auf Erdgas befördert. Dort hat Erdgas ein kleines Wirtschaftswunder ausgelöst und gleichzeitig die CO2-Bilanz aufpoliert. Weltweit sind riesige konventionelle Gasfelder erschlossen worden. Im gleichen Zug wird die Logistik für den Export von Überschüssen über die Weltmeere aufgebaut - der Beginn des Zeitalters von Liquefied Natural Gas (LNG). In Nordamerika, Asien, Afrika und Australien ist in den letzten Jahren ein wahrer LNG-Boom entstanden, dessen Ende noch längst nicht absehbar ist. Nach aktuellem IEA-Bericht, der hier für die meisten Daten als Quelle dient, ist die Erdgasnutzung weltweit im 1. HJ 2024 um 3 % gestiegen, hauptsächlich in Asien (+ 10 %) und besonders im Industriesektor. Nur in Europa ist ein Rückgang von 3,5 % zu verzeichnen.
Beschaffung an THE tut doppelt weh
Stand heute wissen wir, dass nicht alle Prozesse elektriziert werden können. Grüne Moleküle sind noch lange nicht ausreichend verfügbar und sehr teuer. Damit rückt die Beschaffung von Erdgas wieder auf die Agenda. Wenn günstige Altverträge dieses oder nächstes Jahr auslaufen, tut die Beschaffung doppelt weh. Der Preis im deutschen Marktgebiet Trading Hub Europe (THE) notiert beim doppelten Niveau wie noch vor Beginn der Gaskrise 2021. Einer der Gründe ist, dass sich der Gasmarkt bei uns vom günstigeren Pipelinegas zum teureren, weil technisch anspruchsvolleren LNG gewandelt hat.
Nachdem die russischen Pipeline-Lieferungen via Ostsee und Polen nach und nach zum Erliegen kamen bzw. via Ukraine voraussichtlich ab 2025 eingestellt werden, bleibt für die EU nur noch Norwegen als großer Lieferant via Pipeline. Dazu kommen geringere Mengen aus Großbritannien und Algerien sowie russische und aserbaidschanische Mengen via Türkei über die Turkstream bzw. TANAP nach Südosteuropa.
Das russische Pipelinegas wurde zu einem großen Teil eingespart. Aufgrund der Preisexplosion ab dem 2. HJ 2021 ist der Gasverbrauch in der EU insgesamt um ca. 15 – 20 % zurückgegangen - und die russischen Lieferungen wurden wo möglich durch LNG ersetzt, hauptsächlich aus den USA. Im Jahr 2023 haben sich die Märkte wieder beruhigt und die Preise sind auf ein Niveau zurückgekehrt, das in etwa demjenigen in Asien oder leicht darunter entspricht – nur dass dort die LNG-Lieferanten eher aus Australien oder dem mittleren Osten stammen. Damit einhergehend sind im Jahr 2024 die LNG-Importe in die EU auch wieder um ca. 20 % gesunken, was auch an der aktuell geringen Auslastung der europäischen LNG-Terminals ablesbar ist. Einzige Ausnahme sind die Erdgasimporte aus Russland, die bei LNG um 9 % und via Pipeline um 7 % zugelegt haben.
Preisvorteil von LNG
Aus Sicht großer Gasverbraucher in Deutschland, die ihr Erdgas seit vielen Jahren zu marktbasierten Preisen eindecken, könnte man meinen, dass der Unterschied zwischen Pipelinegas und LNG keine Rolle für die eigene Beschaffung spielt, da sich der Preis nicht in den USA oder in Qatar bildet, sondern im Marktgebiet THE oder TTF. Hier treffen Angebot und Nachfrage zusammen und es bildet sich ein transparenter und fairer Preis. Macht es daher überhaupt Sinn, sich als großer Verbraucher mit LNG zu befassen? Dazu muss man sich die LNG-Lieferkette genauer ansehen. US-LNG wird beispielsweise am Henry-Hub gehandelt. Will man dort LNG kaufen, muss man es nach Deutschland bringen. LNG-Importterminals gehen hier sukzessive in Betrieb. Genug Kapazität, um die Hälfte unseres Verbrauchs zu importieren. Am Henry-Hub kostet das Erdgas grob zwischen 5 und 10€/ MWh. Bei uns liegen wir aktuell zwischen 30 und 35 €/MWh. Da ist der Reiz hoch, am Henry-Hub zu kaufen. Die Verladung auf den LNG-Tanker kann man mit ca. 15 % Aufpreis auf den Kaufpreis kalkulieren. Aber ab da wird eine verlässliche Kalkulation immer schwieriger. Die weitere LNG-Logistik, also der Transport nach Deutschland, die Regasizierung und die Strukturierung sind nur schwer zu pauschalisieren. Einen Anhaltspunkt für den Preis frei Marktgebiet THE liefert eine Meldung vom 10. Juli 2024 im Nachrichtenportal energate. Danach will ein US-Unternehmen mit deutschen Kunden LNG-Verträge abschließen, deren Preis 25 bis 30 % unter dem aktuellen TTF-Niveau liegen. Bei aktuell ca. 32 €/MWh wären das dann zwischen ca. 22,5 und 24 €/ MWh. Natürlich ist das eher eine vertriebliche Indikation, aber sie ist nicht unrealistisch, wenn man die einzelnen Schritte der LNG-Logistik nachkalkuliert. Will man mit diesem Unternehmen einen Vertrag schließen, muss man sich aber lange binden und das eine oder andere Risiko wie eine „Take-or-Pay-Verpichtung“ tragen. Ansonsten wäre es einfach verdientes Geld. Man kauft das Gas für 23 €/MWh und verkauft es hier für 32 €/MWh an THE: Das nennt man Arbitrage, in diesem Fall 9 €/MWh bzw. 900.000 € bei 100 GWh/a. Reizvoll wäre daher ein Weg zwischen langfristigen, eigenen Importverträgen und dem Verzicht auf den wirtschaftlichen Vorteil von LNG. Dieser Weg muss berücksichtigen, dass sich an der Belieferung des Letztverbrauchers nicht viel ändert. Das LNG muss von einem Lieferanten in das eigene Portfolio eingestellt werden wie bei einer Beschaffung von Pipelinegas an THE. Die Aufgabe lautet also einen Lieferanten zu finden, der das LNG vom Tanker am Terminal kauft und es dann bis in den Bilanzkreis des Kunden bringt. Vergleichbar mit den Sonderpostenhändlern, die ihre Schnäppchen am Werkstor abholen und unter dem üblichen Preis auf dem Wochenmarkt verkaufen.
Es befinden sich viele LNG-Exportterminals im Bau, die in den nächsten Jahren in Betrieb gehen. Es wird mit einer LNG-Schwemme gerechnet, die in der EU auf einen rückläufigen Markt trifft. Dies ist bereits jetzt an den Preisen ab 2027 ablesbar. In solchen Marktumbrüchen ist es auch in der Vergangenheit zu Preisverwerfungen gekommen. Das war z. B. der Fall, als der Markt mit dem „Börsenpreis“ Anfang der 2010-er Jahre das Anlegbarkeitsprinzip der „Lieferkette“ abgelöst hat. Plötzlich war der Marktpreis deutlich günstiger als Verträge mit Ölpreisbindung, sechsstellige Einsparungen waren an der Tagesordnung. Im Jahr 2018 brachte Gazprom eine eigene „electronic sales platform“ auf den Markt, um Kunden in der EU direkt zu beliefern. Der Betrieb wurde 2021 eingestellt. Der gewichtete Durchschnittspreis der Transaktionen lag deutlich unter dem Durchschnittspreis der Long-Term-Contract-Verkäufe von Gazprom nach Europa. Unternehmen, die in ihren Verträgen flexibel waren, konnten davon profitieren.
LNG-Pool generiert Volumen
Vorausgesetzt, man hätte genügend Kunden in einem LNG-Pool gebündelt, würden LNG-Lieferanten angefragt, um den Markt zu testen. Dazu benötigt man einen weiteren Lieferanten, der das LNG in das Portfolio des Letztverbrauchers bringt. Da er zentral für viele Kunden einkauft und weiterverteilt, heißt er „Central-Buyer“.
Um diesen alternativen Beschaffungsweg zu evaluieren, ist ein ausreichendes Nachfragevolumen erforderlich. Der Einsatz ist eher gering, der mögliche Gewinn hoch. Die Energieberatung GmbH, Tochtergesellschaft des VIK e. V. und ecotec bieten interessierten Unternehmen die Möglichkeit, ihre Mengen in den LNG-Pool einzubringen. Das Management des Pools erfolgt durch ecotec. Die seit 2023 in Betrieb befindliche Gasbeschaffungsplattform AggregateEU (siehe Ausgabe 2/23 der VIK Mitteilungen) bietet die Möglichkeit, LNG im internationalen Markt nachzufragen. Die nächste Nachfrageaggregation startet im Oktober. Dort werden die Jahre 2025 bis 2029 ausgeschrieben. Auf geht’s.
LNG-POOL
Der LNG-POOL ist eine Initiative von ecotec und Energieberatung GmbH, einer 100 %-Tochtergesellschaft des VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e. V.Zweck und Ziel sind es, großen Erdgasverbrauchern ab ca. 50 GWh/a eine Beschaungsmöglichkeit für Liquefied Natural Gas (LNG) zu ermöglichen. Die Teilnahme an dem Pool verpflichtet Unternehmen nicht automatisch zum Bezug von LNG. Bei Interesse und für weitere Informationen schreiben Sie bitte an LNG[at]ecotec.de oder an a.renz[at]vik.de.