Am 30. April 2021 haben die Regulierungsbehörden einen neuen Leitfaden für die Kalkulation von Sondernetzentgelten auf Basis des § 20 Abs. 2 GasNEV veröffentlicht. Dieser hatte die Anforderungen an die Nachweis- und Dokumentationspflichten gegenüber dem alten Leitfaden aus 2012 deutlich erhöht hat. Die Überarbeitung bzw. Veröffentlichung erfolgte ohne vorherige Konsultation von Netzbetreibern und Verbänden. Nur so ist es zu erklären, dass der BDEW das Thema in einer eigenen Stellungnahme an die Regulierungsbehörden Ende September aufgegriffen hat und darin die Probleme benennt, die mit der Umsetzung des neuen Leitfadens einhergehen.
Ein Gastkommentar von Markus Schnier, ecotec
Der BDEW befasst sich in seiner Stellungnahme im Wesentlichen mit zwei Themenfeldern: zum einen bemängelt er die fehlende Klarheit in Bezug auf verlässliche und bundesweit einheitliche Vorgaben, zum anderen sieht er durch den neuen Leitfaden eine falsche Lenkungswirkung in Richtung Direktleitungsbau. Letztere wird durch mehrere Faktoren verursacht: einerseits, weil Planungs-, Genehmigungs- und Nachweisaufwand für das Sondernetzentgelt so erhöht wurden, dass eine Direktleitungsbauentscheidung für das Unternehmen in den relevanten Bereichen abgesichert ist und andererseits, weil die Unternehmen bei einem Direktleitungsbau nicht mehr den regulatorischen Rahmenbedingungen des Leitfadens unterliegen (z. B. keine unvorhersehbaren Änderungen wie der neue Leitfaden im Regulierungsregime zum Sondernetzentgelt). Dieser Trend kann aus der Praxis bestätigt werden - ecotec betreut eine Vielzahl von Letztverbrauchern bzw. „Nicht-Netzbetreibern“ (in der Regel große Industriekunden) bei diesem Thema. Die im Leitfaden als „Petenten“ bezeichneten Kunden, die jetzt vor der Wahl stehen, erstmals ein Sondernetzentgelt zu vereinbaren oder eine neue Vereinbarung zu schließen, entscheiden sich für den Direktleitungsbau, wenn die Vorstellungen der Regulierungsbehörden vollumfänglich von den Netzbetreibern umgesetzt werden müssen.
Mehrere Nachteile durch Direktleitungsbau
Ein solcher Direktleitungsbau ist jedoch nicht nur volkswirtschaftlich und aus Umweltgesichtspunkten unsinnig, sondern verteuert auch das allgemeine Netzentgelt bei den Verteilnetzbetreibern, da der Erlös des Petenten komplett wegfällt. Aus diesem Grund haben die Netzbetreiber in Zusammenarbeit mit dem BDEW in der Stellungnahme konstruktive Vorschläge unterbreitet, welche die Regulierungsbehörden überdenken sollten. Dies umfasst unter anderem eine weitgehende Gleichbehandlung der beiden Petentengruppen (Netzbetreiber und Nicht-Netzbetreiber) und die Forderung, die Voraussetzungen für die Gewährung eines Sondernetzentgelts nicht zu verschärfen. Ob die Regulierungsbehörden - die um ein zeitnahes Feedback gebeten wurden - auf diese Vorschläge eingehen, darf mit Spannung erwartet werden. Viele „Nicht-Netzbetreiber“ stehen vor der Entscheidung, ob sie jetzt den Direktleitungsbau umsetzen. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn die Regulierungsbehörden einen Perspektivwechsel vornehmen und den Netzbetreibern mehr Entscheidungsspielraum zugestehen würden. Sie sollten dabei auch berücksichtigen, dass Sondernetzentgeltkunden ursprünglich benachteiligt sind, da ihre Wettbewerber größtenteils schon immer an der Fernleitung angeschlossen sind. Das Sondernetzentgelt führt also nicht zu einem Vorteil, sondern zur Kompensation eines Nachteils.