Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen wollen, wie steht es dann um die Umsetzung der Energiewende? Zehn Jahre vergehen bei Großprojekten sehr schnell und bislang existiert, bis auf sehr ambitionierte Ziele, noch keine belastbare Strategie zu deren Umsetzung. Man bekommt das beklemmende Gefühl, dass bei fast allen wichtigen Vorhaben, die zentral für den Erfolg der Umsetzung des Mammutprojektes Energiewende sind, Sand im Getriebe ist. Oder es ist erkennbar, dass einiges so gar nicht funktionieren wird, wie in den Vorstellungen mancher Protagonisten noch vor kurzem propagiert. Um nur einige Beispiele zu nennen: Erst Erdkabel statt Freileitungen für den Stromtransport, jetzt zwingen Kosten und Zeit wieder zum Umdenken. Strommarktdesign der Zukunft - Positionspapier, Werkstattberichte und Zeitnot statt klarer Strategie und belastbarer Entscheidungen; besonders deutlich beim Thema Kapazitätsmarkt. Dahinter die Frage, ob Atomstrom wieder salonfähig gemacht werden kann oder ob der Zeitplan des Kohleausstiegs überhaupt noch haltbar ist. Heizungsgesetz, Elektromobilität, die Liste lässt sich fortsetzen, auch mit angrenzenden Themen wie dem Verbandsklagerecht. Dieses gibt Umweltverbänden die Möglichkeit, viele Vorhaben einer Prüfung vor Gericht zu unterziehen, wenn sie nicht auf deren Agenda passen, um sie zumindest zu verzögern. Ein Beispiel war die Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die LNG-Terminals auf Rügen.
Die Finanzierung der Energiewende wird Hauptthema
Eines der großen, “hakenden” Themen wollen wir heute näher beleuchten, weil es für viele der zentrale Heilsbringer zur Vollendung der Energiewende ist, quasi das letzte Puzzleteil: Die Rede ist vom grünen Wasserstoff und seinen Derivaten. Dabei müssen wir mehr und mehr erkennen, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen flächendeckend kaum erfüllen kann, was sich bereits nach erster Kostenanalyse abzeichnete. Was mich bewogen hat, dieses Thema hier zu platzieren sind einige neue Erkenntnisse, die wichtig für den Blick in die Zukunft der Energiewende insgesamt sind und nicht nur für den grünen Wasserstoff. PWC hat im Mai in einer Studie analysiert, dass die Gesamtkosten der Energiewende in einem „Beschleunigungs-Szenario“ (Klimaneutralität bis 2045) nicht teurer sind als ein „Weiter-wie-bisher-Szenario“ (Klimaneutralität erst Mitte der 2050-er Jahre). Beide liegen bei Gesamtkosten von ca. 13 Billionen €. Der große Unterschied der Szenarien liegt in der Aufteilung der Kosten. Im „Beschleunigungs-Szenario“ erhöhen sich die Kapitalkosten. Die Investitionen müssen verfünffacht werden, um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen und liegen bei ca. 5,3 Bio. € bis 2045 statt 3,9 Bio. € im „Weiter-Szenario“, was auch noch mehr als immens ist. Abgesehen davon, dass Excel-Kalkulationen wie diese über 20 Jahre mit vielen Annahmen und großen Ungenauigkeiten einhergehen, bilden sie in einer nicht linearen Welt viele Teile der Realität nicht ab. Aber unabhängig von beiden Szenarien rückt die immer wichtiger werdende Frage nach der Finanzierung der Energiewende mehr und mehr in den Mittelpunkt. Ob wir überhaupt genug Fachkräfte haben, um ein ambitioniertes Szenario umzusetzen, wäre ein weiteres Thema. Aber jetzt zum Wasserstoff als exemplarisches Beispiel der Finanzierung bzw. der Übertragbarkeit auf andere Bereiche der Energiewende.
Grüner Wasserstoff: zu hohe Hoffnungen?
„Habecks Flaggschiff muss Insolvenz anmelden“ titelten gleich mehrere Onlineportale in der vorletzten Woche. Gemeint ist die Hamburger Firma HH2E, die als der Hoffnungsträger 2020 startete und bis 2030 Elektrolyseure mit 4.000 MW bzw. für 40 % der deutschen H2-Produktion bauen sollte. Das erste Werk sollte 2025 in Lubmin auf dem ehemaligen AKW-Gelände Greifswald überschüssigen Grünstrom zu grünem Wasserstoff umwandeln - ein Leuchtturmprojekt, das das Gelingen der Energiewende und den Abschied von der Atomkraft eindrucksvoll symbolisieren sollte. Schmerzlicher als das Scheitern des Unternehmens ist die Ursache: Der Mehrheitsaktionär, eine britische Fondsgesellschaft bzw. dessen Investment-Komitee, hat die Finanzierung in Höhe von ca. 250 Mio. € in Lubmin abgelehnt, weil es der Ansicht ist, dass eine „Final Investment Decision“ (FID) zum aktuellen Zeitpunkt nicht sachgerecht sei. Und dabei waren die Voraussetzungen optimal – Rückenwind gab es nicht nur aus der Politik, sondern auch durch energiewirtschaftliche Prominenz in Vorstand und Aufsichtsrat. Aber es hat trotzdem nicht für ein FID gereicht, weil HH2E keine Kunden für den grünen Wasserstoff gefunden hat. Auch nicht im Kraftstoffsektor, wo die Dreifachanrechnung von grünem Wasserstoff auf die THG-Quote eine hohe Zahlungsbereitschaft schafft. Ob das Insolvenzverfahren in Eigenregie mit dem Finden neuer Investoren gelingt, ist fraglich. Ich wäre hier auch vorsichtig, denn man sollte zuvor ins Ausland gucken.
Das Ausland produziert günstiger oder geht andere Wege
In Skandinavien und Südeuropa sind die Kosten für die Erzeugung von grünem Wasserstoff nur halb so hoch, was bereits ein Standortvorteil für diese Länder ist. Aber auch in unseren direkten Nachbarländern sind die Strategien zur Erzeugung von CO2-freiem Wasserstoff sehr unterschiedlich. Während wir hier in Deutschland kapitalintensiv vorgehen und ein neues Wasserstoffkernnetz mit ca. 9.000 km Länge aufbauen und nur den grünen Überschussstrom nutzen wollen, der kaum eine gleichmäßige Auslastung der Elektrolyseure zulässt, geht man in Frankreich deutlich pragmatischer mit dem Thema um und verfolgt einen komplett anderen Ansatz. Frankreich will den Wasserstoff nicht vorrangig grün, sondern CO2-arm erzeugen und dazu Atomstrom nutzen. Dieser wird in zehn regionalen Industrieclustern vermutlich zu deutlich günstigeren Preisen bereitgestellt. Gemeinsam ist bei beiden Staaten, dass sie ihre Wasserstoffprojekte jeweils mit ca. 4 Mrd. € im Rahmen von CCfD bzw. Klimaschutzverträgen fördern. Deutschland möchte verhindern, dass mit Atomkraft erzeugter Wasserstoff zukünftig an Ausschreibungen für Förderprojekte der europäischen Wasserstoffbank teilnehmen darf – die Entscheidung liegt jetzt bei der neuen EU-Kommission. Aber egal wie diese ausgeht, dass die Kosten in Frankreich für Strom und CO2-armen Wasserstoff zukünftig weniger kapitalintensiv und deutlich günstiger sind, zeichnet sich bereits jetzt ab. Also eine Art gewollter oder ungewollter Inflation Reduction Act in Frankreich - so viel zum Thema gemeinsames Europa.
Wie könnte die Energiewende auf Kurs kommen?
Um mit der Energiewende auf Kurs zu kommen, müssen wir realistische Ziele und Zeitpläne entwickeln, die Kosten in den Griff bekommen, den Dirigismus auf das Notwendigste beschränken und die Bürokratie halbieren. Dann ließe sich das Vertrauen von Investoren und Wirtschaft wieder gewinnen. Hier unsere Vorschläge:
- Fokussierung der Energiewende auf CO2-Minimierung statt auf Erneuerbare Energien. Dazu gehört auch der offene Ausgang der angestoßenen Diskussion über den Weiterbetrieb der noch funktionsfähigen AKW in Deutschland und ein sofortiges Rückbaumoratorium bis zu einer Entscheidung nach der neuen Regierungsbildung.
- Anpassung der deutschen Klimaziele an das UN-Ziel, also Klimaneutralität im Jahr 2050 statt bereits 2045. Die Kriterien der Klimaneutralität müssen schnell, wirksam und verbindlich geregelt werden. Der Beschluss der COP 29, dass sich Staaten mit Klimazertifikaten anderer Staaten bei der Erreichung freikaufen können, untergräbt ernsthafte Anstrengungen.
- Technologieoffenheit ohne Diskriminierung ideologisch unpassender Energieträger bzw. Technologien. Kohlenstoffabscheidung und -speicherung sowie Biomasse als Energieträger müssen als Optionen bei der Erreichung der Klimaziele auf eine Stufe wie Wind und Sonne gehoben werden.
- Harmonisierung des Ausbaus von Wind & Sonne mit dem Netz- und Speicherausbau. Umstellung der Förderung von Wind und PV auf einen auktionsbasierten Investitionskostenzuschuss. Beteiligung an den Netzanschlusskosten, um Fehlanreize zu vermeiden. Keine Vergütung mehr bei Negativpreisen.
- Sicherstellung von ausreichenden steuerbaren Kapazitäten im Strommarkt, bis ein belastbarer Zeitpunkt zur Sicherstellung einer zuverlässigen klimaneutralen Stromversorgung gegeben ist. Das schließt den Weiterbetrieb erforderlicher Kohlekraftwerke oder die Wiederinbetriebnahme stillgelegter AKW nicht aus.
- Entlastung der energieintensiven Industrie von immer höheren Energiekosten, Abgaben und Umlagen statt Symbolpolitik und Einengung des Handlungsspielraums. Ziel ist es, die Abwanderung von Unternehmen oder Produktionsprozessen in andere Länder mit günstigeren Produktionsbedingungen und schlechteren Umweltbedingungen zu verhindern.
Wir werden, das ist meine Vermutung, im kommenden Jahr auch noch in weiteren Bereichen der Energiewende auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Nicht nur auf die neue Bundesregierung kommen riesige Herausforderungen zu, sondern auf uns alle. Wegducken darf sich niemand. Packen wir es also an!