Es gibt Diskussionen in der Energiepolitik, die erinnern an eine Fata Morgana. Der Industriestrompreis ist so eine. Bereits in unserer Ausgabe März 2022 haben wir über die Initiative des Landes Niedersachsen berichtet, einen Industriestrompreis von 4 ct/kWh einzuführen. Im April und August 2023 damals im Gewand des Brückenstrompreises von SPD und Grünen, haben wir dazu berichtet. Jetzt steht er im Koalitionsvertrag und es wird wieder darüber gerätselt und diskutiert. Geplant ist, Unternehmen dauerhaft um fünf Cent pro Kilowattstunde zu entlasten - durch eine Reduktion der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß sowie durch niedrigere Umlagen und Netzentgelte. Dazu Fortführung und Ausdehnung der Strompreiskompensation - und im Schlepptau das Credo von schnellerem Ausbau der Erneuerbaren und Förderung von PPA.
Wie ist also der aktuelle Stand?
Tragen wir die verfügbaren Informationen zusammen, sind einige Nebelkerzen sichtbar:
Die Stromsteuer soll auf den in der EU erlaubten Mindestwert sinken: 0,5 €/MWh statt 20,5 €/MWh. Das ist faktisch für das produzierende Gewerbe bereits mit der Stromsteuerentlastung nach § 9b Stromsteuergesetz (StromStG) möglich. Also keine Entlastung für die Industrie, aber für alle anderen Verbraucher.
Die Übertragungsnetzentgelte sollen halbiert werden und die Netzentgelte sollen ggf. dauerhaft gedeckelt werden. Nachdem für 2023 aus dem Strompreisbremsegesetz ein Zuschuss in Höhe von 12,84 Mrd. € gewährt wurde, war für 2024 ein Zuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten in Höhe von 5,5 Mrd. € geplant. Dieser wurde dann aber wieder gestrichen, weil die Finanzierung über den Klima- und Transformationsfond (KTF) rechtlich untersagt wurde. Durch den Wegfall haben sich die durchschnittlichen, bundeseinheitlichen Übertragungsnetzentgelte für 2024 mehr als verdoppelt. Sie stiegen von 3,12 Cent/kWh (2023) auf 6,43 Cent/kWh (2024). 2025 liegen sie bei 6,65 Cent/kWh. Eine Halbierung wäre somit eine Rückführung auf das Niveau von 2023 und keine Entlastung nur für die Industrie, sondern für alle Verbraucher.
Die Strompreiskompensation wurde 2013 im Rahmen des EU-Emissionshandels eingeführt, um stromintensive Unternehmen von den indirekten CO₂-Kosten zu entlasten. Sie soll verhindern, dass Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern („Carbon Leakage“) und gleichzeitig die hohen Strompreise für die Industrie abfedern. Für das Abrechnungsjahr 2023 erhielten insgesamt 351 Unternehmen eine Beihilfe von rund 2,4 Mrd. €. Sie gilt vorerst bis 2030 und soll auf weitere energieintensive Wirtschaftszweige ausgeweitet werden. Kosten: 3 bis 5 Mrd. €/a. Im Ergebnis eine punktuelle Entlastung für bis zu 200 zusätzliche Unternehmen. Die Ausweitung der Strompreiskompensation als eine Art Industriestrompreis zu verstehen, ist zumindest für den Laien schwer nachvollziehbar. Sie ist eine Kompensation für hohe CO2-Preise, die den Strompreis verteuern. Für die meisten stromintensiven Unternehmen ändert sich nichts.
Unternehmen, die in einem besonderen internationalen Wettbewerb stehen und hohe Strommengen beziehen – bei der KWKG-Umlage (bis 1 Mio. kWh/a aktuell 2,77 €/MWh) und bei der Offshore-Netzumlage (aktuell 8,16 €/MWh) sollen eventuell weiter entlastet werden. Aber auch hier erfolgt bereits die Entlastung über § 28 des Energiefinanzierungsgesetzes (EnFG), die früher als „Besondere Ausgleichregelung“ bezeichnet wurde.
Was bleibt unterm Strich?
Bewertung: Für die großen Stromverbraucher, besonders aus der Grundstoffindustrie, deren Exodus bei vielen Produkten bereits begonnen hat, ändert sich nicht viel. Bei dem Punkt, der am meisten helfen könnte, der Halbierung der Übertragungsnetzentgelte, profitieren sie im Regelfall noch von § 19 Abs. 2 StromNEV (individuelle Netzentgelte). Diese Regelung läuft noch bis 2028 und steht gerade vor einer grundlegenden Änderung, da sie nicht mehr optimal zu einem erneuerbaren Stromsystem passt – also weg vom kontinuierlichen hin zum flexiblem Netzbezug. Bei vielen Unternehmen der Grundstoffindustrie schlicht nicht möglich.
Dazu bestehen nach einem „geleakten“ Gutachten aus dem Bundeswirtschaftsministerium große Zweifel, ob ein bis 2035 geplanter „Industriestrompreis“ überhaupt von der EU-Kommission genehmigt würde. Die beihilferechtlichen Hürden sind enorm und verlangen nach einem Ausnahmetatbestand. Hier müsste dann z. B. der Ukraine-Krieg oder die Wirtschaftspolitik von Trump herhalten. Die Abstimmung kann jedenfalls länger dauern.
Fazit: Der „Industriestrompreis“ suggeriert, die Politik würde der Industrie eine deutliche Entlastung im Sinne des Wirtschaftsstandortes Deutschland ermöglichen. Wenn es der Politik schon nicht gelingt, den Unternehmen, die eine Entlastung erwarten, klar zu kommunizieren, was der Industriestrompreis genau bedeutet, dann darf man sich über den Inhalt auch nicht wundern. Die Industrie sollte ihn so besser ablehnen und „Bürgerstrompreis“ nennen, damit er nicht als Verhandlungsmasse für zukünftige Entlastungen als Vorschuss verrechnet wird. Ein Industriestrompreis, der seinem Namen gerecht wird, bleibt für die meisten Betroffenen vermutlich eine Fata Morgana.