Kurz vor den Osterferien wollen wir der Frage nachgehen, wie sich die Gasmärkte und -preise weiterentwickeln. Es gibt viele Informationen aus unterschiedlichen Quellen, da verliert man schnell den Überblick. Aber der Reihe nach:
Ende März titelte die Bildzeitung, dass die USA und Russland Gespräche zur Reaktivierung der brachliegenden Nord Stream Gasleitungen führen. T-Online berichtete dazu, dass der US-Milliardär Stephen P. Lynch die Pipeline Nord Stream 2 kaufen bzw. im laufenden Insolvenzverfahren ersteigern will. Russisches Gas ist schließlich nicht sanktioniert und Russland bringt per LNG und per Pipeline immer noch große Mengen Erdgas in die EU – annähernd 20 % des EU-Verbrauchs. Die USA würden dann das zusätzliche Gas von den Russen kaufen und per Pipeline als Zwi¬schenhändler in den europäischen Markt bringen. Dazu müsste der noch intakte Strang der Nord Stream 2 vom BMWK zuvor freigegeben werden bzw. die anderen Stränge (eine Röhre von Nord Stream 2, ggf. auch beide von Nord Stream 1) müssten repariert, besser saniert, werden. Schnell ginge es also nur über den intakten Strang. Der hat allein genügend Volumen, um den europäischen Gasmarkt durcheinanderzuwirbeln: ca. 30 Mrd. m³/a, also in etwa das Doppelte dessen, was bis zuletzt über die Ukraine nach Europa gekommen ist - oder ca. 350 zusätzliche LNG-Tanker/a.
Preise würden deutlich sinken
Wir schätzen, dass diese Angebotsausweitung die kurzfristigen Preise in diesem Jahr bis zu 10 €/MWh in der EU sinken lassen könnten, also von aktuell ca. 40 auf 30 €/MWh. Die Russen haben Produktionskosten für Pipelinegas von höchstens 10 €/MWh, verkaufen es an den US-Zwischenhändler für 20 €/MWh und der verkauft es für ca. 30 €/MWh am hiesigen (Day-Ahead-)Markt. Für die Industriebetriebe, die sich kurzfristig eindecken, eine spürbare Entlastung. Und die Speicher könnten relativ sicher die 90 % Füllstandsvorgabe zum 1. November 2025 erreichen. Das wäre für einige Politiker laut Focus rein rechnerisch ein „guter Deal“ für alle. Probleme gelöst?
Kehrtwende nicht denkbar
Stop! Bevor sie denken, ich würde eine solche Lösung befürworten, lassen Sie uns die andere Seite der Medaille betrachten: Die EU hat im Rahmen des REPowerEU-Plans formuliert, 2027 unabhängig von russischem Gas zu sein und damit die politische Zielsetzung vorgegeben. Die USA haben ab 2017 ein Sanktionsregime gegen den Bau der Nord Stream 2 bzw. die mitwirkenden Unternehmen aufgebaut, um Europa vor russischer Abhängigkeit zu schützen. Der russische Gasexport ist seit 2021 um über 40 % gesunken. Der politische Schaden wäre im Fall einer Wiederinbetriebnahme um ein Vielfaches größer als die wirtschaftlichen Vorteile. Nicht nur die Unabhängigkeitsbestrebung, auch jegliche Glaubwürdigkeit wäre dahin.
Zusatzbelastungen reduzieren
Stattdessen sollte die Politik dafür sorgen, dass die Gasnebenkosten für die Industrie nicht aus dem Ruder laufen. Die Streichung der Speicherumlage wäre da nur der Anfang. Das Thema steigende Erdgasnetzentgelte nimmt sie billigend in Kauf, auch wenn es in einigen Gegenden im Verteilnetz für große Industriebetriebe schon auf 10 €/MWh hinausläuft. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf, genauso wie beim EU-ETS-2, wo derzeit noch nicht absehbar ist, wo sich die Preise ab 2027 hin entwickeln. Im schlimmsten Fall will sie die diskutierte Grüngasquote auf ca. 7 % hochfahren, was sich nach ersten Berechnungen mit 10 €/MWh on top auswirken könnte. Da läuft vieles unter dem Radar ohne wahrnehmbaren und frühzeitigen Widerstand.
Markt zeigt nach unten
Positive Nachrichten kommen für die Verbraucher hingegen aus dem Markt. Der Preis für das cal-27 notiert aktuell um die 30 €/MWh und fällt Richtung cal-29 auf ca. 26 €/MWh. Alles in Folge der hohen LNG-Mengen, die ab 2026 sukzessive auf den Markt kommen. Auch wenn die Händler im hinteren nicht so liquiden Bereich noch teilweise ein ordentliches „Premium“ verlangen, sind wir dann perspektivisch wieder auf Vorkrisenniveau –inflationsbereinigt. Und hierdrauf sollte sich der Fokus großer Verbraucher richten.
Alternativen nicht in Sichtweite
Hierzulande produzierter grüner Wasserstoff wird nicht vor 2040 wettbewerbsfähig und dazu muss der CO2-Preis selbst bei angenommenen 45 €/MWh auf ca. 380 €/t steigen. Dazu die viel höheren H2-Netzentgelte, derzeit ist ein Startpreis von ca. 25 €/kW*a im Gespräch. Der „Champagner der Energiewende“ wird es nicht in die Fläche schaffen – dazu wollen wir nicht wieder komplett von Importen abhängig sein, diesmal aus Afrika. Ebenso werden wir nicht kurz- oder mittelfristig in die komplette elektrische Prozesswärmeerzeugung einsteigen und schon gar nicht im Hochtemperaturbereich. Zumindest, wenn wir auch die energieintensiven bzw. besonders die prozesswärmeintensiven Unternehmen hierbehalten wollen.
Teilmengen langfristig sichern
Was ist also zu tun? Für diejenigen, die in den kommenden zehn Jahren auf Erdgas angewiesen sind, empfiehlt sich eine langfristige Absicherung beim aktuellen Preisniveau. Zumindest für die Mengen, die man gemäß Transformationsplan mindestens noch benötigt, könnte man z. B. die Hälfte absichern. Da ergeben sich bei den aktuellen Preisen deutlich mehr Chancen als Risiken. Zur Not kann man sie auch an den Markt zurückverkaufen.
Fazit: Eine Rückkehr zu Nord Stream 2 unter den aktuellen Rahmenbedingungen wäre ein schwerer Schaden für die EU und die Glaubwürdigkeit der Politik allgemein. Die Abkehr von Erdgas wird mangels Alternative aber noch sehr lange dauern. Die Politik darf das nicht ignorieren und muss die entsprechenden Rahmenbedingungen auf der regulatorischen Seite schaffen. Sonst hat die prozesswärmeintensive Industrie unter den nächsten Lasten zu leiden. Das darf nicht sein.