Ich hoffe, Sie haben Ihren Sommerurlaub genossen und gehen jetzt wieder mit guter Laune und frisch aufgetanktem Akku an die Arbeit. Das BMWK hat keine Auszeit genommen und produziert weiterhin in hohem Tempo Strategien und Verordnungsentwürfe zur Umsetzung der Energiewende. Da ist es wichtig, am Ball zu bleiben und die Spreu vom Weizen zu trennen. Zwei aktuelle Themen sind dabei von besonderer Bedeutung für die großen Stromverbraucher: Veränderungen beim Strommarktdesign und bei den Netzentgelten. Und da möchten wir Ihnen die aktuellen Entwicklungen des Sommers näherbringen.
Beginnen wir mit dem eingekürzten Absatz des vom BMWK „Strommarktdesign der Zukunft“ getauften Papiers: „Deutschlands Stromsystem befindet sich mitten in einer umfassenden Modernisierung …. Wir gehen von einem System mit relativ inflexibler Nachfrage ... über in ein System, in dem die ... Stromerzeugung aus Wind und PV zur zentralen Säule ... im Stromsystem werden. Die damit einhergehenden Veränderungen sind ein Paradigmenwechsel und die Anforderungen an das Stromsystem der Zukunft verändern sich dadurch grundlegend.“ Es wird also langsam ernst und für die betroffenen Stakehold wird es höchste Zeit, sich auf die geplanten Veränderungen einzustellen. Daher fasse ich für Sie die vom BMWK favorisierten „Aktionsfelder“ kurz zusammen:
- Die EE-Förderung soll auf Investitionskostenförderung umgestellt werden, weil im Jahr 2026 die Beihilfegenehmigung für die gleitende Marktprämie ausläuft. Alternativ müsste ein Abschöpfungsmechanismus (z. B. CFD oder „claw-back“) etabliert werden, was nicht favorisiert wird.
- Für steuerbare Kapazitäten (z. B. Backup-Kraftwerke oder Speicher - wenn nicht genug Wind- und PV-Strom erzeugt wird) soll ein kombinierter Kapazitätsmechanismus eingeführt werden. Kombiniert, weil einerseits teure, zentrale Lösungen (umlagefinanziert!) ausgeschrieben werden sollen (z. B. H2-ready Gaskraftwerke) und die Markterlöse zu unsicher sind, um Investitionen in ausreichendem Maß anzureizen. Andererseits sollen dezentrale, flexible Lösungen einbezogen werden, bei denen „auf das dezentrale Wissen der energiewirtschaftlichen Akteure vor Ort“ gesetzt wird. Dies sind z. B. dezentrale Erzeuger und Nachfrager, wie sie bereits jetzt schon in den Flexibilitätsmärkten (Regelenergie und Intraday) eingesetzt werden.
- „Netzausbau und Redispatch allein können die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern. Irgendeine Form von lokalen Signalen wird ergänzend hinzukommen müssen.“ Das bedeutet, dass Stromerzeugung und -verbrauch örtlich und zeitlich besser synchronisiert werden sollen. Und hier soll die Reform der Netzentgelte eine bedeutende Rolle spielen, um ein netzdienliches Verhalten anzureizen.
- Der letzte Punkt bezieht sich auf das Thema Flexibilität und greift zum Teil die bereits in den vorgenannten Punkten beschriebenen Maßnahmen wieder auf. Es wird aber klar, dass sie der Schlüssel zum Gelingen der Energiewende ist („Flexibilität wird zum neuen Markenzeichen in einem treibhausgasneutralen Stromsystem“). Die zentralen Aktionsfelder sind „Preisreaktionen ermöglichen“, „Netzentgelte flexibilisieren“ bzw. „individuelle Netzentgelte reformieren“ und „Netzentgeltsysteme anpassen“.
Auch wenn die Punkte derzeit noch den Handlungsbedarf beschreiben und jetzt zur Konsultation gestellt werden, so ist doch absehbar, wohin die Reise geht. Da wir die Entwicklungen durch die Brille der großen Letztverbraucher sehen, wagen wir folgende Analyse zu den einzelnen Punkten:
- Die Umstellung der EE-Förderung auf Investitionskostenförderung gemäß Punkt 1. ist energiepolitisch und -wirtschaftlich geboten und sinnvoll, hat aber wenig Auswirkung auf das Budget.
- Das Thema steuerbare Kapazitäten ist für große Verbraucher relevanter. Besonders die Investitionen in den zentralen Kapazitätsmarkt und die dafür vorgeschlagene Umlagefinanzierung werden die Budgets belasten. Ein neues, der EEG-Umlage ähnliches System könnte eingeführt werden und den Strom auf breiter Front verteuern. Im Herbst sollen erste Eckpunkte beschlossen werden, da die Zeit wegen des Kohleausstiegs drängt.
- Wichtig wird es dann beim Thema „Lokale Signale“ mit zeitlich und regional differenzierten Netzentgelten. Produzieren Sie in einem Netzbereich mit EE-Überschuss? Wenn Sie dazu komplett flexibel sind, können Sie davon profitieren. Aber die regulatorische Umsetzung wird genauso schwierig wie die praktische Flexibilisierung der Produktion. Wie soll ein neues Netzentgeltsystem im Detail aussehen? Haben wir dann jede Viertelstunde unterschiedliche (Netz-) Arbeitspreise? Oder eher wie eine modifizierte, atypische Netznutzung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV? Weitere mögliche Maßnahmen, die in diesen Bereich fallen, sind der in Diskussion befindliche Strompreiszonensplit oder § 13k EnWG (Nutzen statt Abregeln 2.0).
Damit sind wir beim Thema Flexibilität, das die größte Wechselwirkung mit den anderen Themen hat und das neue „Markenzeichen“ der Energiewende werden soll: Null Flexibilität bedeutet maximaler Netzausbau bzw. höchste Netzentgelte, hoher Bedarf an steuerbaren Kapazitäten [LS1] und damit sehr hohe Stromkosten. Maximale Flexibilität bedeutet maximale Kosteneffizienz, sowohl für unsere Volkswirtschaft als auch für jedes einzelne Unternehmen.
Beim Thema Stromnetzentgelte ist die Entwicklung bereits angelaufen. Dort wurde von der BNetzA am 24. Juli das Papier „Eckpunkte zur Fortentwicklung der Industrienetzentgelte im Elektrizitätsbereich“ zur Konsultation gestellt. Die kontinuierliche Netznutzung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV, im Volksmund 7.000 h-Regelung und jetzt „Bandlastprivilegierung“ genannt, ist bis zum 31.12.2025 befristet und soll in bestehender Form nicht verlängert werden, auch wenn die Regelungen grundsätzlich bis zum 31.12.2028 in Kraft bleiben. Die BNetzA ist aber ermächtigt, bereits vorab davon abweichende oder ergänzende Regelungen zu treffen. „Anstelle der wegfallenden Regelungen tritt ein neues Sondernetzentgelt. Dieses soll effektiv zu systemdienlichem Verhalten anreizen. Bestehende Vereinbarungen über individuelle Netzentgelte sollen dabei nicht unmittelbar ihre Wirkung verlieren.
Vielmehr ist vorgesehen, den Letztverbrauchern hinreichende Übergangsfristen zu gewähren, die eine Umstellung ihrer Produktion und die Realisierung von Flexibilitätspotentialen in einem angemessenen Übergangszeitraum ermöglicht. Die Beschlusskammer wird den Vertrauensschutz im Hinblick auf Investitionen in bestimmte Standorte und Technologien sowie den branchenspezifischen technischen Möglichkeiten einer Flexibilisierung bei der Ausgestaltung der Übergangsfristen angemessen gewichten. Die Festlegung des neuen Sondernetzentgelts soll dabei keiner engen zeitlichen Befristung unterliegen. Hierdurch werden Unternehmen die Sicherheit haben, dass sich Investitionen in die Flexibilisierung ihrer Prozesse amortisieren werden“. Im Großen und Ganzen also noch nichts Konkretes, außer dass sich schon bald was ändern wird. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Fazit: Die Priorität des BMWK und der Behörden verändert sich vom Ausbau der Stromerzeugung bei Wind und PV in Richtung Systemintegration – nichts anderes bedeutet „Strommarktdesign der Zukunft“. Das neue Markenzeichen der Energiewende wird die Flexibilität. Das wird in Anbetracht des wachsenden Zubaus auch dringend erforderlich, wenn die Energiewende kosteneffizient gelingen soll. Damit wird in der Breite wieder Neuland betreten und der Weg ist nur skizziert. Es steht ein weiterer Umbruch der deutschen Volkswirtschaft bevor: Nach dem Schwenk von den Fossilen zu den Erneuerbaren kommt jetzt der Umbau vom unflexiblen zum flexiblen Verbrauch - was in vielen Fällen einen kapitalintensiven Umbau der meisten Produktionsprozesse erfordert. Nachdem in den letzten 20 Jahren die Energieerzeuger im Fokus waren, sind es jetzt die Verbraucher. Viele ahnen noch nicht, was jetzt auf sie zukommt, auch wenn die Diskussion bereits Anfang 2023 Fahrt aufgenommen hat. Die Politik und das BMWK stehen unter enormem Druck, ein überzeugendes Konzept vorzulegen und umzusetzen. Wenn es nicht gelingt, die Gesellschaft bei diesem neuen Kapitel mitzunehmen, scheitert die Energiewende oder verlangsamt sich zumindest deutlich. Und für die Verbraucher, besonders die Industrie, ist die Energiewende ab jetzt eine mehrdimensionale Herausforderung: Effizienz und Erneuerbare müssen mit Flexibilität, Netzentgelten und Beschaffungsstrategie zusammen gedacht werden. Die Erfordernisse an eine Gesamtstrategie und deren Umsetzung werden immer herausfordernder. Bleiben wir optimistisch und packen es an!