Glauben Sie noch an die Erreichung der Klimaziele? Ich leider nicht mehr und ich bin nicht der Einzige. Sind 1,5 oder 2 °C und der dafür erforderliche globale CO2-Reduktionspfad noch realistisch? Der „Overshoot“ prägt die aktuelle Diskussion und es wird klar, dass wir vielmehr CO2 der Atmosphäre nachträglich wieder entziehen müssen als bislang angenommen. Ich weiß, das sind provokante Aussagen bei einem gesellschaftlich sehr aufgeladenen Thema. Aber ich stelle sie, weil wir an einem Punkt angelangt sind, wo immer mehr darauf hindeutet, dass wir die Ziele vor allem in dem von der Politik festgelegten Zeitplan und in der Absolutheit nicht erreichen werden – auch nicht auf nationaler Ebene. Und man sollte darüber sprechen, wie es besser laufen müsste. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten, weil ich nicht will, dass die Energiewende scheitert und nach der Verdopplung der Beschaffungskosten das nächste Release der De-Industrialisierung, also 2.0, durch kaum noch bezahlbare Netzentgelte in Kraft tritt. Sinnvolle Korrekturen müssen schnellstmöglich eingeleitet werden.
Wie müssten die Klimaziele und die Energiewende mit weiterhin ambitionierten und erreichbaren Zielen neu aufgesetzt werden? Da spielt sicher auch eine ganze Menge Psychologie mit. Und die funktioniert nicht durch ideologische Politikansätze, erzieherische Maßnahmen (wie z. B. die ökologischen Gegenleistungen) und Überregulierung, sondern durch Motivation, Eigenverantwortung und die richtigen Rahmenbedingungen. Letztere dürfen durchaus auch pragmatisch sein, benötigen einen realistischen Zeitrahmen und müssen das Gesamte im Blick haben. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Finanzierung der erforderlichen Transformation. Die Finanzierung wird in der Politik, in der Energiebranche und in der Industrie gerade intensiv diskutiert. Ohne die notwendigen Mittel können wir die angestrebte Transformation abhaken, zumindest wenn wir global noch eine Rolle spielen wollen. EE- und Netzausbau, kommunale Wärmeplanung, Umbau der industriellen Prozesse etc. kosten Billionen, die finanziert werden müssen.
Zu viele Mühlsteine für die Industrie
Aus Sicht des grün geführten BMWK sollen es ein streng überwachter Fahrplan, der alle in die (Berichts-)Pflicht nimmt und eine Ausweitung der Neuverschuldung sein, um die großen Vorhaben anzuschieben. Dazu wird dann auf das grüne Wirtschaftswunder gehofft, das durch zu schaffende grüne Leitmärkte entsteht und dann genug Geld in die öffentlichen Kassen spült, um die Refinanzierung zu ermöglichen. Dieses Szenario bröckelt jetzt schon an allen Ecken und Kanten: Thyssen Krupp überprüft seine Pläne zum grünen Stahl, BayWa r.e. steht vor der Sanierung und der grüne Wasserstoffimport aus Dänemark verzögert sich jetzt schon um drei weitere Jahre auf 2033 – nur einige der gewichtigen und aktuellen Meldungen.
Die deutsche Industrie als Innovationsmotor für die gesamte Gesellschaft befindet sich auf dem absteigenden Ast. Der Konsum stagniert oder schrumpft, Fachkräfte für die Energiewende werden Mangelware und – das ist das Schlimmste, die Politik will die Schraube immer weiter ins Brett drehen, koste es, was es wolle. Hauptleidtragende dabei ist die energieintensive Industrie in Deutschland. Während z. B. die Netzbetreiber ihre Kosten auf die Netzkunden umlegen können und die Energieerzeuger staatlich gestützt werden, egal ob durch EE-Förderung oder den geplanten Kapazitätsmechanismus im neuen Strommarktdesign, bekommt die Industrie einen Mühlstein nach dem anderen um den Hals gehängt. Da meine ich nicht nur die ausufernden bürokratischen Pflichten, die die Unternehmen nicht nur im Energiebereich lähmen (z. B. das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz) und die Unsicherheit bei Investitionen, sondern an erster Stelle die Tatsache, dass die Industrie für alles zahlen soll, was sich das BMWK und die nachgelagerten Behörden, wie z. B. die Bundesnetzagentur, ausdenken.
Nach den Beschaffungskosten explodieren die Netzentgelte
Womit wir bei dem Thema sind, das uns für unsere Kunden umtreibt: die Energiekosten! Diesmal aber nicht in der Beschaffung, sondern bei den Netzentgelten, wo wir in der August-Ausgabe bereits über die geplanten Änderungen bei den Stromnetzentgelten berichtet haben. Heute blicken wir auf die neuen Erdgasnetzentgelte. Als ich vor wenigen Tagen die Kalkulation der vorläufigen Netzentgelte eines Kunden für 2025 gesehen habe, hat es mich vom Stuhl gehauen. Das Unternehmen hat einen Gasverbrauch von ca. 230 GWh/a, da werden sich also einige unter unseren Lesern wiederfinden, die in dieser Region liegen. Das allgemeine Netzentgelt soll im nächsten Jahr von 1,5 auf 2,5 Mio. € auf über 10 €/MWh steigen! Dafür konnte man 2020 das Erdgas am Spotmarkt beschaffen bzw. könnte man heute für 3 €/MWh weniger einkaufen, wenn man in den USA produziert. Wie soll das funktionieren? Die Antwort ist einfach: nicht mehr lange. Es muss sich etwas in der deutschen Wirtschafts- und Industriepolitik ändern, sonst verschwinden diejenigen, die es noch können oder gehen diejenigen bankrott, die hierbleiben müssen. Welche Kuh soll dann noch gemolken werden?
Die Regierung meint, mit einem kurzfristigen Zuschuss von ca. 5 Mrd. € zu den Stromnetzentgelten und der langfristigen Streckung auf Amortisationskonten wäre es getan. Das ist Symbolpolitik, wir brauchen einen Politikwechsel, der eine Entlastung der energieintensiven Industrie auch beim Brückenenergieträger Erdgas vorsieht. Zwar würden viele Politiker sowieso lieber heute als morgen beim Erdgas aussteigen, aber das funktioniert nicht. Grüner Wasserstoff ist noch eine Fata Morgana und weder Stromnetze (wo die Netzentgelte auch explodieren) noch EE-Stromangebot und Speicherung sind auf lange Sicht für die „All-Electric-Society“ ausreichend. Pragmatismus gibt es bei uns nicht. Hauptsache raus aus Atom und Kohle und rein in Wind und PV, egal ob sinnvoll und was es kostet. Anders in den USA, wo Microsoft den 2019 letzten stillgelegten Reaktor in Three Mile Island (nicht den havarierten Reaktor, der wurde nicht wieder angefahren) zurück in Betrieb nehmen will. Begründung: Die KI-Technologie verursacht einen fünffach steigenden Strombedarf der Rechenzentren und sonst steht nicht genug CO2-freier Strom für die Klimabilanz zur Verfügung. Wann fangen wir in Deutschland wieder an, realistischer zu werden? Hat die Ampel und das BMWK überhaupt noch die Fähigkeit zur Selbstkorrektur? Am Beispiel der Erdgasnetzentgelte und der Umlagen bzw. der sonst geplanten Belastungen wie der Grüngasquote unterbreiten wir einen Vorschlag, obgleich viele ähnliche Felder auf Korrektur warten. Ob ihn jemand aufnimmt?
Was ist zu tun?
Unser 6-Punkte-Plan für eine Entlastung der prozesswärmeintensiven Industrie in Deutschland unter Berücksichtigung des Positionspapiers VIK und VCI vom 27. September 2024 wäre ein Anfang:
- Einführung eines einheitlichen Netzentgeltes für Industriekunden durch Gleichsetzung der allgemeinen Netzentgelte auf der Verteilnetzebene mit den bundesweit einheitlichen Netzentgelten auf der Ferngasebene, die nur die gebuchte Kapazität berücksichtigen. Schluss mit der Diskriminierung der Unternehmen, die aufgrund ihrer zufällig ungünstigen Lage im Verteilnetz teilweise vielfach höhere Kosten haben als direkt an die Ferngasleitung angeschlossene Netznutzer. Im zuvor geschilderten Beispiel steigt das darin enthaltene Ferngasnetzentgelt zwar auch um über 30 %, aber nur um 0,1 Mio. € statt um 1,0 Mio. €.
- Keine Anrechnung der höheren Netzkosten aus der degressiven Abschreibung (mit der die Netzbetreiber aus dem Schneider sind) auf die Gasnetzentgelte. Die Differenz muss durch den KTF oder ein vergleichbares Instrument getragen werden.
- Die Gasspeicherumlage in Höhe von aktuell 2,50 €/MWh muss für die Industrie sofort oder wie an den Grenzübergangspunkten, spätestens zum 1. Januar 2025 gestrichen werden.
- Keinen Handel im neHS bzw. BEHG im Jahr 2026, sondern Festschreibung des Mindestsatzes von 55 €/t CO2 als Festpreis. Viele Gaskunden bekommen von ihren Lieferanten den Worst-Case-Preis von 65 €/t angeboten. Auch die Lieferanten halten den bürokratischen Aufwand für das eine Jahr mit der Handelsspanne 55 bis 65 €/t für unangemessen, bevor der eHS im Jahr 2027 in den EU-ETS-2 übergeht.
- Die von der SPD vorgeschlagene und mittlerweile auch von CDU-Politikern befürwortete Grüngasquote, sollte sie kommen, muss durch den KTF oder ein vergleichbares Instrument finanziert werden. Alternativ muss die Industrie ausgenommen werden. Sie braucht keine in wenigen Jahren wieder ausufernde neue Belastung, die stark an die Einführung der EEG-Umlage erinnert.
- Alle Entlastungen müssen bedingungslos gewährt werden, also ohne ökologische Gegenleistung oder andere Forderungen.
Level-Playing-Field statt Subventionen
Bei keinem dieser Punkte handelt es sich um eine Subvention, sondern um die Herstellung eines „level playing field“ und den Stopp weiterer Belastungen. Diese Maßnahmen würden in einem wichtigen Teilbereich der deutschen Wirtschaft eine spürbare Begrenzung der stark gestiegenen und weiter ausufernden Kosten bedeuten, der der ganzen Volkswirtschaft nutzt. Die Produktionskosten würden in ihrem Anstieg begrenzt, die Unternehmen wandern nicht ab und alle Güter wären im internationalen Wettbewerb weniger benachteiligt, die CO2-Emissionen werden nicht ins Ausland verlagert und die Kostensteigerungen für die Konsumenten fielen geringer aus, womit die Inflation gebremst wird. Und das Beste - wir hätten mehr Geld für die Transformation in der Staatskasse und würden unsere Klimaziele schneller erreichen. So stringent könnte Wirtschaftspolitik sein.